Wolfgang von Wartburg, zitiert nach Roca René „Schweizer Neutralität-der Einsatz für den Frieden hat einen Preis“; Zeit-Fragen 23. Juli 2024, S. 2.
Vor wenigen Wochen war ich nach langer Zeit einmal wieder in Deutschland… mit dem Zug. Am Bahnhof einer deutschen Grossstadt begegnete mir eine Armut und ein Elend unvorstellbaren Ausmasses, wie wir es in der Schweiz so nicht kennen.
Meine Freunde und Bekannten in Deutschland waren in besorgter Stimmung. Immer wieder sprachen sie über einen allfällig bevorstehenden Krieg. Einer meiner Freunde, Mitglied in der „Grünen Partei“ in Deutschland erzählte unter Tränen von seinem Vater, der im 2. Weltkrieg unter der Naziherrschaft „Mitläufer“ gewesen und in den Krieg gezogen war. Er erzählte von seiner Gewissensnot, wie es ihn sein Leben lang bis heute beschäftigt, wie er selbst es vermeiden könnte, dass ihm Gleiches wie seinem Vater passiert. Die grüne Partei Deutschlands war einst eine pazifistische Partei. Jetzt stehen sie und ihre Aussenministerin an vorderster Front derjenigen, die den Russland-Ukraine Krieg „anheizen“ und sich dem Pazifismus entsagt haben. Ich erfuhr, dass es in vielen Familien bereits Gespräche darüber gibt, wie man allenfalls die Ehemänner oder Söhne ausser Landes schaffen könnte, sodass sie nicht gezwungen sein werden in den „Schützengräben“ eines allfällig bevorstehenden Krieges ihr Leben zu verlieren. Diese Sorge ging durch die Vertreter aller Parteien. Manch einer hatte seine Hoffnungen noch in den zurückhaltenden Bundeskanzler Olaf Scholz gelegt. Seine Zurückhaltung und Wortkargheit war von Einigen bis dato nicht als Nachteil betrachtet worden, sondern man hatte gehofft, dass dies ein Zeichen dafür sei, dass er dem Kriegstreiben anderer westlicher Länder etwas entgegen zu setzen hat. Am 11. Juli 2024 war diese Hoffnung definitiv zerstört worden. Zusammen mit Frankreich, Italien und Polen hat Deutschland eine Initiative zur Aufstellung von bodengestützten Marschflugkörpern mit einer Reichweite von mehr als 500km gestartet und Olaf Scholz zeigte sich stolz darüber, dass solche Mittelstreckenraketen in seinem Land, in Deutschland, stationiert werden sollten. Damit wird Deutschland zu einem US Militärstützpunkt. Halb im Scherz, halb im Ernst äusserten meine Freunde, dass sollte es zu einem Krieg kommen, sie sich alle zu mir in Richtung Schweiz begeben würden. Dies zeigte mir, dass die Schweiz in der deutschen Bevölkerung (und wohl nicht nur in dieser) bis heute noch eine Hoffnung darstellt ein Land des Friedens zu sein, welches sich nicht in den Krieg involvieren lässt.
Warum, so fragte ich, stehen denn nicht alle die deutschen Bürger, die so intensiv und nachhaltig „gegen rechts“ auf die Strasse gegangen sind jetzt gegen die unübersehbaren Kriegsvorbereitungen ihrer Regierung auf? 1981, mitten im kalten Krieg, waren in Bonn, in Deutschland, Hunderttausende auf die Strasse gegangen um gegen die Aufstellung atomar bestückter Mittelstreckenraketen in Deutschland zu protestieren. Jetzt scheint es still zu sein.
Was den „Kampf gegen rechts“ betrifft, sollte eine Demokratie, wie in Deutschland, die seit 75 Jahren besteht, heute in der Lage sein auch streng Andersdenkenden aufrecht zu begegnen und in der Diskussion überzeugender zu sein, statt eine „Brandmauer“ zu errichten. Eine „Brandmauer“ errichten, sollte man aber gegen den Krieg, der unwiderruflich jede Zivilisation und jedes menschliche Leben zerstört. Es bleibt zu hoffen, dass die deutschen Bürgerinnen und Bürger doch noch den Mut finden sich den unverantwortlichen Plänen ihrer Regierung entgegenzustellen und gegen den Krieg nachhaltig zu protestieren und sich zu verweigern. Nach neueren Umfragen sind 77% der deutschen Bevölkerung für Verhandlungen und gegen eine Fortsetzung des Russland-Ukraine Krieges. Das Argument man könne mit Putin nicht verhandeln ist unglaubwürdig. Haben die Alliierten gegen Ende des 2. Weltkriegs nicht auch mit Stalin verhandelt? Mit Stalin, der Polen und auch Finnland überfallen hatte. Hätten sie wie Churchill es eine Zeitlang erwog die Verhandlungen mit Stalin verweigert, hätte dieser unselige zweite Weltkrieg noch Jahre fortgedauert und noch mehr unnötige Menschenleben gekostet.
Auf der Rückfahrt aus Deutschland wieder mit der Bahn herrschte am Hauptbahnhof einer grossen deutschen Stadt das totale Chaos. Kein Zug fuhr pünktlich ab oder kam pünktlich an. Zahlreiche Züge fielen vollkommen aus und dennoch herrschte eine erstaunliche Ruhe. Die Menschen halfen sich untereinander aus, nahmen das Chaos mit schicksalsergebener Gelassenheit hin, auch wenn sie nicht wussten, ob sie am gleichen Tag noch ihr Ziel erreichen würden, oder ob sie die Nacht irgendwo in einem Zug, der steckengeblieben war, verbringen müssten. Neben mir auf der Bank, auch mein Zug fuhr verspätet ab, sass eine Dame mittleren Alters, die recht verloren wirkte. Ich kam mit ihr ins Gespräch und gemeinsam versuchten wir daraus schlau zu werden, was die ständig wechselnden Ansagen und auch die Darstellungen auf der Tafel zu bedeuten hatten. Sie hatte zwar ein Smartphone dabei, aber die App der deutschen Bundesbahn half auch nicht weiter. Anders als vor einigen Jahren, wo die deutsche Bundesbahn bei den damals noch selteneren Verspätungen gar keine Informationen durchgab, bemühte sich diesmal das Personal der Bahn augenscheinlich die Passagiere zu informieren und ihnen auch anlässlich ausgefallener Züge und stundenlanger Verspätungen bezüglich Verbindungen weiterzuhelfen. Ich war verwundert über die stoische Gelassenheit, mit der die vielen Menschen dieses Chaos hinnahmen. Meine Nachbarin auf der Bank sagte zu mir, es gehe einem doch schon viel besser, wenn man in dem ganzen Chaos nicht alleine sei. Auch ich war froh, dass wir uns unterhalten konnten. Gleichzeitig aber, wenn ich mich umsah, war ich ob der sich gegenseitig in beeindruckender Weise helfenden Menschen, aber auch ob ihrer Schicksalsergebenheit beunruhigt. Dann kam mein Zug; voll mit Menschen. Beanspruchte im Zug aber jemand einen Sitzplatz, den er in einem völlig anderen Zug gebucht hatte, gab es keine Diskussionen, der Platz wurde freigemacht. Die menschliche Hilfeleistung füreinander war beeindruckend.
Ich fühlte mich dennoch in einer ganz eigenartigen Weise unwohl. Hier waren Menschen, die sich an Notzeiten am Gewöhnen waren. Zunächst Corona, jetzt die „Vorkriegsstimmung?“ Sind diese Menschen noch zum Widerstand fähig? Nach meinem Eindruck war es eine Vorkriegsstimmung. Und es bleibt zu hoffen, dass die deutsche Bevölkerung die Kraft aufbringt sich frühzeitig gegen den Krieg zu erheben.
Angesichts des Verhaltens der uns umgebenden Länder, ist es umso wichtiger, dass die Schweiz ein Ort der Hoffnung für die Menschen bleibt, wie es meine Freunde so eindrücklich formuliert haben. Und dies ist nur möglich, wenn sie in eindeutiger Weise wieder zur Neutralität zurückfindet. Das versucht die „Neutralitätsinitiative“ in der Schweiz. Lesen Sie den informativen und beeindruckenden Beitrag des Schweizer Historikers René Roca, Mitglied des Initiativkomitees „Wahrung der Schweizerischen Neutralität“ (Neutralitätsinitiative) „Schweizer Neutralität-der Einsatz für den Frieden hat einen Preis.“